Die folgenden Dokumente versammeln Protokolle der Gesellschafterversammlungen aus den Jahren 1986 und 1987. Wer in ihnen nur den Sound der Genervtheit wahrnimmt, übersieht etwas für die Organisationskultur von Radio 100 Wesentliches: Hier raufte sich zusammen, was zusammengehörte, und setzte sich auseinander, was nicht zusammenpasste.
Der endlose Streit war Klärungshilfe, wirkte für manche Beteiligte, die später Karriere in ARD-Sendern machten, wie ein Bad in Drachenblut, das sie stählte für die Arbeit in Gremien. Nebenbei gewinnt man auch einen Eindruck von den Arbeitsbedingungen der Alternativkultur, zu der es offenbar auch gehörte, ganz säkular in der Nacht zum zweiten Weihnachtstag 1986 das erste Protokoll aufzusetzen.
Das zweite Protokoll zeigt Gesellschafter und Programmcrew im Clinch mit einander. Durch Margit und Gundel bekommt auch der weibliche Aufsichtsrat von Radio 100 seine Stimmen. Die Ökonomie der Knappheit verlangt neben der Bereitschaft zur Selbstausbeutung auch einen Augenblick der Wahrheit: waren manche Gesellschafter von anfang an damit überfordert, die auf ihre Anteile entfallenden Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen? Und war die Idee, das Kapital der GmbH zu erhöhen, in erster Linie ein Trick, die unterkapitalisierten Gesellschafter vor die Tür zu setzen? Aus dem Wort der „Stillen“ kommt eine weitere Gruppe ins Spiel, die maßgeblich zur Finanzierung des Programms beitrug. Für stille Einlagen erhielten sie Verlustzuweisungen, die sie steuermindernd bei ihrer Einkommensteuererklärung geltend machen konnten.
Das dritte Protokoll vom Dezember 1987 bringt als weiteren Akteur den Förderverein für einen lokalen Hörfunk in die Runde, dessen Vorsitz der Präsident der HdK (heute UdK) Ulrich Roloff-Momin übernommen hatte. Er warb bei Westberliner Promis um Unterstützung für eine Vollfrequenz, teilweise auch um weitere atypische bzw. stille Gesellschafter, um die klamme Finanzierung von Radio 100 zu kompensieren. Das Protokoll illustriert auch ein organisationstypisches Verhalten, für das Dirk Baecker erst viele Jahre später den Begriff der postheroischen Organisation etablierte. Um in einer Pattsituation Bewegungsspielraum zu gewährleisten, müssen mehr Spieler ins Feld. Sie dürfen auch auf Tore schießen, die in der Logik der Bundesliga undenkbar waren. Hier verschafften sie Bewegungsfreiheit.