Kapitel 5: Antragsprosa und Lizenzvergabe

Im August 1986 meldet der Mediendienst Neue Medien, dass 19 Bewerber um die beiden ab 1987 zu vergebenden Radiofrequenzen konkurrierten. Seltsame Gruppen. Manche wirkten so ähnlich wie kalifornische Goldgräber des frühen 19. Jahrhunderts. Dass im armen Westberlin mit Werbung im Radio ernsthaft Geld verdient werden könnte, hoffte man zum Beispiel im reichen München, im noch reicheren Hamburg und auch in Offenburg. Elf Vollprogramm- und acht Teilprogrammanbieter sollten dem Kabelrat nun detaillierte Ideen für ihr Radioprogramm vorstellen. Zu den acht Teilprogrammanbietern gehörte auch das Andere Radio Berlin, dessen Antrag auf eine Lizenz hier nachzulesen ist.  Das Konzept ist hier noch sehr vage beschrieben und setzte stark auf Bürgerbeteiligung.Es folgt ein Schreiben aus dem September 1986 an den Kabelrat, in dem ein Vollprogrammbewerber (hör 1), das Andere Radio Berlin und Heinrich Gärtner ihren Willen bekundeten, sich gemeinsam um eine Vollfrequenz zu bewerben. Im Dezember 1986 schickt die Gruppe, nun als Radio 100 firmierend, ihr Programmkonzept an den Kabelrat. An erster Stelle stehen die Programmideen der Dissonanzen-Redaktion, ein Frauenprogramm, das das Alltägliche zum Schwerpunkt machen wollte. Mein Sendeplatz Nachtflug warb mit Schwierigem für wache Ohren, was ziemlich verquast klang, wogegen die Audionauten sich als Werkstatt für Hörexperimente darstellten.

Im Oktober 1986 hatte der Kabelrat eine Vorentscheidung für die Gruppe um Ulrich Schamoni in Aussicht genommen und verlangte nun ersschöpfende Auskunft über Beteiligungsverhältnisse und Programmstruktur. Dieser Beschluss liest sich im Rückblick als maßgeblich dafür, dass die Schamoni Medien GmbH nicht die volle Frequenz 100,6 MHZ bekommen würde, sondern mit Radio 100 eine linke Laus in den üppigen Pelz gesetzt bekommen sollte. Die linke Laus war natürlich Radio 100, das anfangs nur eine Lizenz für vier Stunden auf der Frequenz 100,6 bekam. So wiederholte sich im Äther über Berlin eine kulturelle Spaltung, die nicht mit einer Mauer und Stacheldraht und Schießbefehl daherkam, sondern bei Schamoni mit dem Deutschlandlied aufhörte, worauf Radio 100 eine Klospülung sendete.

Im Juni 1987 bekam Schamoni schließlich die ganze Frequenz 100,6 für sich, während Radio 100 auf die 103,4 MHZ hüpfte und ab Juli dort sechs Stunden senden konnte. Für den geschlossenen Hüpfsprung von 100,6 auf 103,4 erfanden wir einen kleinen Thriller, den wir aus urheberrechtlichen Gründen hier noch nicht verlinken können. Im Juli 1989 erhielt Radio 100 schließlich die 24stündige Sendelizenz auf UKW 103,4 MHZ. Das Timing hätte kaum trefflicher sein können.